Verwaltungsgerichtshof stoppt Kleinwasserkraftwerk – Projekt war nicht vereinbar mit „nachhaltiger Entwicklung“

In Tirol decken bereits 22 große Wasserkraftwerke drei Viertel des Strombedarfes ab. Die restlichen etwa 850 Anlagen an Tiroler Gewässern zählen zur Kleinwasserkraft (< 10MW). Hier stellt sich somit unweigerlich die Frage, ob der Nutzen dieser Anlagen deren ökologischen Schaden (Querbauwerke, Restwasser, Spülungen etc.) zu rechtfertigen vermag. Dieser Fragestellung nimmt sich das Wasserrechtsgesetz u.a. in seinem §104a an und in vielen Bewilligungsverfahren zu neuen Wasserkraftwerken sind darin enthaltene Regelungen von entscheidender Wirkung. Entsprechend dieser rechtlichen Grundlagen wäre ein Vorhaben nämlich bewilligungsfähig, auch wenn dadurch Verschlechterungen des gewässerökologischen Zustandes oder die Nichterreichung des guten ökologischen Zustandes bzw. Potentials zu erwarten sind. Das Umgehen des allgemeinen Verschlechterungsverbotes, grundsätzlich verankert in der EU-Wasserrahmenrichtlinie und im Wasserrechtsgesetz, ist jedoch nur möglich, wenn gemäß §104a Abs. 2 WRG:

  1. alle praktikablen Vorkehrungen getroffen wurden, um die negativen Auswirkungen auf das Gewässer zu mindern und
  2. das Vorhaben von übergeordnetem öffentlichem Interesse ist und/oder die Umweltziele des Wasserrechtsgesetzes (§30a, c und d) – z.B. die Erreichung des guten Zustandes – durch den Nutzen des Vorhabens für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung übertroffen werden und
  3. das Ziel des Vorhabens nicht durch andere, bessere Umweltoptionen erreicht werden kann.
    Einen interessanten Fall zur Frage, ob ein Kleinwasserkraftwerk trotz erwarteter Verschlechterungen für das Gewässer gebaut werden kann, stellt ein Bewilligungsverfahren im Bezirk Schwaz dar. Das Verfahren zog sich seit 2021 bis in die dritte Instanz zum Verwaltungsgerichtshof in Wien und Ende April 2024 wurde dazu eine Entscheidung getroffen.

Wir berichten über den Verfahrenshergang:

Erste Instanz:

  • Anfang 2021 erteilte die zuständige Behörde, trotz zahlreicher negativer Stellungnahmen betroffener Parteien, u.a. die wasserrechtliche Bewilligung für eine Kleinwasserkraftanlage eines Ski- und Bergbahnbetriebes.

Zweite Instanz:

  • Es folgten Beschwerden des Landesumweltanwaltes und des wasserwirtschaftlichen Planungsorganes, welche sowohl aus naturschutz- als auch wasserrechtlichen Gesichtspunkten die Aufhebung des Bewilligungsbescheides forderten.
  • Über diese Beschwerden wurde am Tiroler Landesverwaltungsgericht in zweiter Instanz verhandelt, diese schlussendlich als „unbegründet abgewiesen“ und eine neue Baufrist gesetzt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugunsten des Kraftwerksbaus wurde dahingehend begründet, dass zwar von einer Verschlechterung des betroffenen Baches in zwei Qualitätskomponenten auszugehen ist, das Kleinwasserkraftwerk auch nicht im übergeordneten öffentlichen Interesse liege, es jedoch zur nachhaltigen Entwicklung hinsichtlich Energie- und Klimastrategie und zur menschlichen Gesundheit (durch Ersatz eines Dieselaggregates des dazugehörigen Almbetriebes) beitrage. Da auch keine bessere Umweltoption hervorgekommen sei, könnten alle Genehmigungsvoraussetzungen für das Kraftwerksvorhaben gemäß §104a laut Verwaltungsgericht als gegeben angesehen und das Verschlechterungsverbot somit umgangen werden.

Dritte Instanz – Kraftwerksbau wurde versagt:

  • Ende 2021 wurde diese Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft mittels außerordentlicher Revision angefochten. Es wurde argumentiert, dass maßgebliche gutachterliche Aussagen für die Interessensabwägung gemäß §104a fehlten, insbesondere zur lückenlosen Versorgung durch das Kraftwerk in Bezug auf den Nutzen für die nachhaltige Entwicklung. Außerdem gäbe es gerade in den Wintermonaten, welche natürlicherweise abflussärmer ausfallen, für den Liftbetrieb einen erhöhten Strombedarf, weshalb das Kleinwasserkraftwerk ohnehin nur einen kleinen Teil des Strombedarfes decken könne. Das Argument der nachhaltigen Entwicklung stelle außerdem vor allem auf den Ersatz des Dieselaggregates des Almbetriebes ab, dessen Anteil am Gesamtstrombedarf der Anlage jedoch nur ein sehr geringer sei und das neue Kraftwerk zu viel größeren Teilen die Liftanlage zu versorgen hätte.
  • Der Verwaltungsgerichtshof in Wien erkannte die Revision somit als zulässig an. Zwar seien die Vorgaben des §104a so zu verstehen, dass nicht zwingend ein übergeordnetes öffentliches Interesse gegeben sein muss (es in diesem Fall auch nicht ist), dann jedoch der Nutzen für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung die Umweltziele übertreffen muss.
  • Der Verwaltungsgerichtshof entschied auf Basis der angeführten Argumente, dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen unzureichend durch gutachterliche Darstellungen geprüft habe. Somit haben nicht alle Feststellungen vorgelegen, um gemäß §104a zu entscheiden, ob die Versorgung des Skiliftes unter „nachhaltige Entwicklung“ fallen und damit eine gewässerökologische Verschlechterung (rechtlich gesehen) zu rechtfertigen ist.
  • Das Erkenntnis, wonach die Beschwerde des wasserwirtschaftlichen Planungsorganes abgewiesen wurde, wurde somit in dritter Instanz im April 2024 vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben und der Bau der Kleinwasserkraftanlage vorerst abgewendet.

Der Ball liegt nun theoretisch wieder beim Landesverwaltungsgericht in Tirol. Um den Bau des Kleinwasserkraftwerkes doch noch zu ermöglichen, müssten neuerliche Ermittlungen jedoch ergeben, dass der erzeugte Strom durch das Kraftwerk (trotz abflussarmer Verhältnisse im Winter) vordergründig für den Betrieb des Skiliftes genutzt werden kann. Ansonsten würde sich die Frage nach einer „nachhaltigen Entwicklung“ ebenso erübrigen und das Verschlechterungsverbot greifen.

An diesem Fall lässt sich erkennen, dass nicht jegliches neue Wasserkraftwerk, aufgrund der Bezeichnung „erneuerbare Energie“, automatisch zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt und/oder als (übergeordnetes) öffentliches Interesse angesehen werden kann. Es bedarf jedenfalls einer genauen Einzelfallprüfung neuer Wasserkraftwerke, insbesondere wenn negative Auswirkungen auf ein Gewässer zu erwarten sind und das Vorhaben Umweltzielen entgegensteht. Kleinwasserkraftwerke haben es hier besonders schwer, da oft schwerwiegende ökologische Beeinträchtigungen nur einer geringen volkswirtschaftlichen Bedeutung gegenüberstehen.